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Gruppe Menschen mit Sprechblasen

Berufsorientierung? Kaum!

Mechatronik, Pflegeberufe, öffentlicher Dienst oder vielleicht doch ein Studium – wohin führt es junge Menschen nach Ende ihrer Schullaufbahn? Vielen Schulabgänger*innen fällt die Antwort schwer. Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen könnte da helfen. Aber um die ist es nicht allzu gut bestellt. Mehr als sieben von zehn Auszubildenden geben der Berufsorientierung an ihren früheren Schulen eine schlechte Note. Das ist ein Ergebnis des neuen Ausbildungsreports, den die DGB Jugend pünktlich zum Start in das neue Ausbildungsjahr veröffentlicht hat.

Der DGB-Ausbildungsreport verschafft Übersicht in puncto Ausbildungsqualität und -bedingungen, denn die Expert*innen auf dem Gebiet Ausbildung geben Auskunft, die Auszubildenden selbst. Mehrere Tausend Auszubildende haben auch für diese Studie wieder berichtet, wie zufrieden sie mit ihrer Berufsausbildung sind, wo es Mängel gibt, wie es um ihre Arbeitszeiten bestellt ist oder ob sie die Ausbildung weiterempfehlen.

Berufliche Orientierung
Diesjähriger Themenschwerpunkt des Ausbildungsreports: Zugang zu Ausbildung und Berufsorientierung. Dabei zeigt sich: Die Angebote zur Berufsorientierung an Schulen haben noch reichlich „Luft nach oben“. Fast 73 Prozent der befragten jungen Menschen sagen, dass ihnen die Angebote „weniger“ oder „gar nicht“ geholfen haben, um eine Berufswahlentscheidung zu treffen. Und je höher der Schulabschluss der Auszubildenden ist, umso schlechter bewerten sie die Berufsorientierung. Nur knapp ein Fünftel der Absolvent*innen mit (Fach-)Abitur sagen, dass ihnen die Angebote geholfen haben, während fast die Hälfte der Auszubildenden ohne Schulabschluss (45,5 Prozent) der schulischen Berufsorientierung ein gutes Zeugnis ausstellt.

Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit haben, so der DGB-Ausbildungsreport 2022, nur knapp 29 Prozent gesucht. Und 40 Prozent derjenigen, die die Beratung in Anspruch genommen haben, sagen, dass diese ihnen bei der Konkretisierung ihrer Entscheidung „weniger“ oder „gar nicht“ geholfen habe.

Dabei ist die Berufsorientierung für die berufliche Laufbahn und einen gelingenden ersten Schritt in den neuen Lebensabschnitt der jungen Menschen enorm wichtig. Denn wer seine Optionen kennt und auf dieser Grundlage seine Berufswahl trifft, ist beim Bewerbungsgespräch besser vorbereitet und startet mit realistischen Vorstellungen von seinem späteren Beruf in die Ausbildung.

Die ver.di Jugend setzt sich dafür ein, dass die Ausbildung zum Erfolg wird. Zu einem guten Start in die die Ausbildung gehören vorab eine umfangreiche Berufsorientierung für alle Schulabgänger*innen und daran anschließend ein sicherer betrieblicher Ausbildungsplatz. Aber um die Ausbildungssituation in Deutschland ist es – trotz eines immensen Fachkräftemangels – weiter eher mau bestellt. Die ver.di Jugend fordert gemeinsam mit der gesamten im DGB organisierten Jugend deshalb eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie.

Weiterempfehlung?
Ebenso wichtig wie ausreichend Ausbildungsplätze gegen den Fachkräftemangel ist eine hohe Anzahl an Interessierten für den Ausbildungsberuf. Gerade dort, wo Unternehmen über zu wenig Nachwuchs klagen, sollten sie daran interessiert sein, dass ihre Auszubildenden als Multiplikator*innen im Freundes- und Bekanntenkreis Werbung für ihren Beruf und Betrieb machen. Aber fast jede*r sechste Auszubildende (16,1 Prozent) würde die Ausbildung im eigenen Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen. Im Laufe der Zeit nimmt die Begeisterung dabei sogar noch signifikant ab. Während im ersten Ausbildungsjahr noch mehr als 70 Prozent eine Empfehlung abgeben, sind es im dritten Ausbildungsjahr nur noch etwas mehr als die Hälfte und im vierten Ausbildungsjahr sogar noch weniger (48,6 Prozent). Ursachen für die mangelnde Begeisterung gibt es viele.

Betrieblicher Ausbildungsplan
Zu einer guten Ausbildung gehört immer auch ein betrieblicher Ausbildungsplan, der sogar gesetzlich vorgeschrieben ist. Darin sind wichtige Lernziele der Ausbildung – also Fähigkeiten und Kenntnisse – festgelegt, um am Ende der Ausbildung die Abschlussprüfung erfolgreich zu bestehen. Der neue Ausbildungsreport zeigt aber einmal mehr, dass mehr als ein Drittel der Auszubildenden keinen betrieblichen Ausbildungsplan hat und die jungen Menschen somit nicht wissen, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was ihre Lerninhalte sind. Dabei ist dieser gesetzlich vorgeschrieben und muss der Vertragsniederschrift beigefügt sein (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 BBiG).

Der Ausbildungsplan ist auch deshalb so wichtig, weil er den jungen Menschen zeigt, wie das Lernen im Betrieb ablaufen wird. Die praktische Umsetzung der Ausbildungsordnung steht im Ausbildungsplan festgeschrieben. Alle Beteiligten haben so einen Überblick über die Lerneinsätze und die bereits absolvierten Stationen. Ebenfalls wird deutlicher, ob vom Plan abgewichen wird und ob die den Auszubildenden übertragenen Aufgaben sogenannte ausbildungsfremde Tätigkeiten sind. Kaffee kochen, Currywurst in der Mittagspause für die Kolleg*innen holen oder Staubsaugen der Büros sind Klassiker unter den ausbildungsfremden Tätigkeiten. Elf Prozent der befragten Auszubildenden geben an, „immer“ oder „häufig“ diese oft unliebsamen Tätigkeiten erledigen zu müssen, die nicht Bestandteil ihrer Ausbildung sind und auch dem Lernerfolg nicht dienen. Solche Tätigkeiten sind nach § 14 Berufsbildungsgesetz sogar verboten.

Fachliche Anleitung
Wichtig für eine erfolgreiche Ausbildung ist auch der Kontakt zu den Ausbilder*innen und die fachliche Anleitung durch sie. Die ist, so zeigt es die Befragung, jedoch nicht selbstverständlich – die Tendenz ist sogar rückläufig. 11,6 Prozent der Auszubildenden gaben an, dass ihre Ausbilder*innen „selten“ oder sogar „nie“ am Ausbildungsplatz verfügbar sind. Das ist der höchste Wert seit 2008.

Auch die Qualität der fachlichen Anleitung durch die Ausbilder*innen bewerten nicht alle Auszubildenden als gut, 13, 2 Prozent sagen, dass ihnen Arbeitsvorgänge „selten“ oder „nie“ zufriedenstellend erklärt werden.

Überstunden und Jugendarbeitsschutz
Abgefragt hat der DGB auch wieder, wie es um die Arbeitszeiten der Auszubildenden bestellt ist. Herausgekommen ist einmal mehr, dass fast ein Drittel der Auszubildenden (32,8 Prozent) regelmäßig Überstunden machen muss und so durchschnittlich 3,6 Stunden pro Woche mehr arbeitet. Und 11,6 Prozent bekommen für die geleisteten Überstunden weder Geld noch einen Freizeitausgleich. Das ist nicht nur unfair, sondern auch ein eindeutiger Verstoß gegen das Berufsbildungsgesetz (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 8 BBiG).

Eine Verbesserung gegenüber dem Ausbildungsreport von 2020 zeigt sich beim Jugendarbeitsschutz. Zwar geben immer noch 6,6 Prozent der Auszubildenden unter 18 Jahren an, dass sie mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten – obwohl dies der Gesetzgeber verbietet –, aber der Wert ist im Vergleich zu 2020 (10,4 Prozent) deutlich gesunken.

Ausbildungsvergütung
Die Zufriedenheit der Auszubildenden hängt auch mit der Wertschätzung zusammen, die sie während der Ausbildung erfahren. Neben vielen anderen Faktoren spielt dabei auch die Ausbildungsvergütung eine zentrale Rolle.

Der Ausbildungsreport zeigt, dass die durchschnittliche Vergütung über alle Ausbildungsjahre hinweg 881 Euro beträgt. Gegenüber den vorherigen Untersuchungen ist der Wert zwar gestiegen, dennoch liegt er immer noch mehr als 100 Euro unter dem Durchschnitt der tariflich festgelegten Ausbildungsvergütungen von 987 Euro.

Grade in Zeiten hoher Inflationsraten, steigender Energiekosten und wachsender Mieten ist eine Ausbildungsvergütung, die den Weg in ein eigenes Leben ermöglicht, besonders wichtig. Die Gewerkschaftsjugenden im DGB fordern daher gemeinsam eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung um 130 Euro sowie Entlastungen und echte Unterstützung für junge Menschen in Form eines Energiepreis-Deckels und einer Übergewinnsteuer.

Übernahme nach der Ausbildung
Zu einer guten Ausbildung gehört auch eine gute Perspektive für die Zeit danach. Doch die haben viele junge Menschen selbst im letzten Ausbildungsjahr noch nicht. Denn 43,5 Prozent der Auszubildenden wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob sie von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Die Tendenz ist gegenüber 2020 sogar steigend (plus 6,2 Prozent).

Von den Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr, die bereits wussten, dass sie keine Perspektive in ihrem ausbildenden Betrieb haben, hatten lediglich 13,4 Prozent eine Zusage für Weiterbeschäftigung in einem anderem Betrieb.

Aber auch viele Auszubildende mit Übernahmezusage haben zunächst nur eine kurzfristige Perspektive, denn 30 Prozent werden zunächst nur befristet eingestellt – zumeist bis höchstens ein Jahr.

Gemeinsam mit der ver.di Jugend für eine bessere Ausbildung!
Der Ausbildungsreport 2022 zeigt einmal mehr, dass Ausbildung weit davon entfernt ist, perfekt zu sein und es in vielen Bereichen deutlicher Verbesserungen bedarf. Die ver.di Jugend setzt sich engagiert dafür ein und kämpft an vielen Stellen, um die Ausbildung auf ein höheres Niveau zu heben und jungen Menschen eine dauerhafte Perspektive zu geben.

Ein erster Schritt um im betrieblichen Alltag anzusetzen, ist eine erfolgreiche Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung 2022 (JAV-Wahl). Denn die Zufriedenheit mit der Ausbildung erhöht sich laut Ausbildungsreport, wenn eine betriebliche Interessenvertretung existiert, die sich für gute und faire Ausbildungsbedingungen und eine hohe Qualität einsetzt. Ebenfalls einen positiven Effekt auf die Zufriedenheit haben Tarifverträge und die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Jetzt Mitglied werden!

Je mehr wir sind, umso besser können wir an den Stellschrauben drehen. Gemeinsam für eine gute Ausbildung! Macht mit!

 

Die repräsentative Befragung wurde von August 2020 bis März 2022 durchgeführt. Insgesamt 14.426 Auszubildende aus den laut Bundesinstitut für Berufsbildung 25 am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen haben sich beteiligt.
Den gesamten Ausbildungsreport gibt es hier zu lesen: Ausbildungsreport 2022

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